Künstliche Intelligenz: Ein Blick zurück und ein Blick in die Zukunft
Vor 30 Jahren begann ich mit der Forschung im Bereich der Künstlichen Intelligenz.
Vor 30 Jahren erlebte die Künstliche Intelligenz (KI) bereits einen Hype, bei dem ich mittendrin war: 1991 arbeitete ich an der Universität Bern in einer Forschungsgruppe für Bildanalyse. Das Thema KI war damals bereits mehr als 20 Jahre alt und eine erste Ernüchterung machte sich breit. Ein grosses Problem war, dass sich nicht im Voraus abschätzen liess, wie lange die Suche nach einem Gegenstand auf einem Bild dauern würde. So konnte die Suche nach einer Strassenverkehrsampel in einer Sekunde fertig sein oder aber auch 5 Sekunden dauern – was natürlich für selbstfahrende Autos nicht akzeptabel war. Dieses Problem zeigt sich übrigens heute noch, wenn selbstfahrende Autos im dichten Verkehr abbiegen müssen und plötzlich stehen bleiben, weil sie innert nützlicher Frist keine Entscheidung fällen können.
Wir fanden in der Forschungsgruppe Wege, einen Gegenstand auf einem Bild immer innerhalb einer Sekunde zu finden, ohne dass wir dazu die Rechenleistung erhöhen mussten. Damit Sie sich ein Bild der Forschung vor 30 Jahren machen können, hier ein Ausschnitt aus der Forschungsarbeit:

Als dann um die Jahrtausendwende die Kosten für Rechenleistung in den Keller stürzten, konnte das Problem auch ohne mathematische Erweiterungen gelöst werden.
KI benötigt sehr viel Rechenleistung, die erst um die Jahrtausendwende in bezahlbarem Umfang zur Verfügung stand.
Das Training des Computers war sehr aufwändig. Uns standen ca. 100 Bilder zur Verfügung, an denen sich der Computer verbessern konnte. Lernen konnte der Computer aber nur, wenn er laufend von uns erfuhr, ob eine Entscheidung korrekt war oder nicht. Ein Beispiel: Wenn ein selbstfahrendes Auto wegen eines nicht beachteten Rotlichts einen Unfall baut, so muss der Computer vom Menschen lernen, dass ein Unfall kein korrektes Ergebnis ist. Uns wurde schnell klar, dass wir den Computer zu dritt und mit ca. 100 Bildern zu wenig gut anlernen konnten. Es wären Tausende von Bildern und Tausende von Menschen wären notwendig gewesen, um eine praxistaugliche Anwendung zu bekommen.
KI benötigt für das Lernen sehr viel menschliche Hilfe und sehr viele Daten.
Google hatte die zündende Idee, die Benutzer der Suchmaschine für das Anlernen und die Bereitstellung der notwendigen Daten einzuspannen. Erst nachdem Millionen von Menschen bereit waren, Google ihre Daten zur Verfügung zu stellen und sich für das Lehren der Algorithmen zu engagieren (Anklicken von Suchergebnissen, Wahl der Bilder in Captcha), boomte KI auch im Alltag. Die grossen Computerfirmen wie Google, Amazon, Apple und Microsoft gewannen dank der von den Anwendern bereitgestellten Daten eine enorme Macht über Menschen, Unternehmen und Staaten.
Wem die Daten gehören, dem gehört die Macht.
Dank der Spendierfreudigkeit von Millionen von Menschen existieren heute Datenbanken mit Milliarden von Gesichtern inkl. den persönlichen Daten der betroffenen Menschen. Dank diesen Datenbanken können Videokameras für die Personensuche eingesetzt werden. Das geschieht nicht nur in China, sondern auch in Europa. Dies hat die EU auf den Plan gerufen, welche nun mit entsprechenden Gesetzen versucht, der biometrischen Überwachung Herr zu werden.
In der Personenüberwachung liegt heute einer der grössten Gefahren der KI für den Einzelnen.
Die öffentlich zugängliche Datenflut und die verfügbaren Werkzeuge der KI geben dem Einzelnen aber auch die Möglichkeit, Aussagen von Regierungen und Unternehmen zu überprüfen, was früher nur Nachrichtendienste anhand ihrer Informationen tun konnten. Nach dem Abschuss eines Flugzeuges über der Ostukraine etwa sammelte Eliot Higgins mit seinen Kollegen schneller als die Geheimdienste Beweise dafür, dass die Russen hinter dem Abschuss standen. Sein Buch darüber ist sehr lesenswert!
In der Personenüberwachung liegt heute einer der grössten Gefahren der KI für den Einzelnen.
Wohin geht die Reise mit der KI? Im Film 2001: A Space Odyssey übernimmt der Computer HAL9000 die Kontrolle über die Menschen. Kann das in Zukunft geschehen? Nein, meint Yuval Noah Harari in seinem Buch 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert. Da sich ein Computer ohne die Hilfe des Menschen nicht verbessern kann, wird er immer dem Menschen gehorchen. Dies ist Chance und Risiko zugleich: In guten Händen ist der Computer ein gutes Werkzeug, in schlechten Händen kann er ein Werkzeug für eine digitale Diktatur sein. Dies gilt insbesondere auch für die KI.
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